Genre: Synthie Pop, Electro Pop, Future Pop, EBM, Trip Hop, Dark Electro, Harsh Electro
Release: 2018
Homepage: https://www.facebook.com/Aiboforcen/
Das aus Belgien stammende Kollektiv Aiboforcen setzt sich aus unterschiedlichen Protagonisten des hiesigen Underground-Electros zusammen und stammt aus dem Hause Alfa Matrix. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die beiden Label-Gründer und Hauptprotagonisten des Projekts Benoit Blanchart & Séba Dolimont ihr neuestes Gesamtwerk auch auf ihrem hauseigenen Label veröffentlichen. Außerdem finden sich weitere Beteiligungen vor Allem Vocal-seitig Seitens Patrice Synthea (aka Patrice Mock) wieder. Das Projekt existiert auch nicht erst seit gestern und veröffentlichte bereits seit Anbruch des Dark Electro-Zeitalters Anfang der 1990er Jahre in unregelmäßigen Abständen sechs Studio-Alben über zwanzig Jahre verteilt. Für die neueste Auskopplung Sense & Nonsense ließ man sich mit sieben Jahren ebenfalls beträchtlich viel Zeit, wie es bereits beim Vorgänger Dédale der Fall war. Der Stil wies stets unterschiedliche klangliche Einflüsse auf, das gehört bei diesem Label zum guten Ton, und orientierte sich stets an eine Mischung moderner Synthie/Future Pop-Klänge, brachialer Electro-Gewalt sowie Oldschool EBM-Ansätzen. Für das neueste Album dachte man sich noch ein besonderes Gimmick aus und involvierte unterschiedliche Gastsänger mit ein, allen Voran die bezaubernde Nordamerikanerin Mari Kattman und den Front 242-Haudegen Jean-Luc de Meyer. Sense & Nonsense ist bisher nur digital erschienen und liefert fünfzehn neue Tracks auf dem Haupt-Album sowie dreizehn zusätzliche Tracks und Remix-Varianten bekannter Alfa Matrix-Gruppen wie Aesthetische, Diffuzion, Implant & Psy'Aviah auf der Bonus-Variante. Ob diese gewohnt voll gepackte und kunterbunte, variationsreiche Mischung über die gesamte Länge überzeugen kann muss sich jedoch erst unter Beweis stellen.
Mit Glockenklängen und effektreichen Samples geht es mit "We Woke Up The Dragon" und gesanglicher Unterstützung von Jean-Luc de Meyer mystisch los. Die Basslastigen Flächen sowie angenehm klingenden Samples sorgen für eine atmosphärische Grundlage und liefern ein eindrucksvolles Klangbild ab. Hinzu gesellen sich noch orientalisch anmutende Melodien und Distortion-lastige Gitarren-artige Geräusche. Vor Allem die Percussion-Elemente in Kombination mit den verträumten Klangflächen wissen gut zu überzeugen. Schöner und vielversprechender Anfang!
Mit ebenfalls anmutenden Synthie-Bässen und klanglich durschnaufenden Drum-Elementen geht es mit dem Trip Hop-lastigen Dark Electro-Song "Come Clean" weiter. Einige Sprach-Samples sowie hochtönige Sequenzen sorgen für eine angenehme Atmosphäre kurz bevor verträumte, weibliche Vocals den Song noch weiter aufbauen. Streckenweise wirkt der Gesang etwas im Ton vergriffen, wird jedoch durch einige schöne Effektspielereien noch abgerundet und vom Timing her perfekt ins Instrumental-Gemisch integriert. Ebenfalls keine schlechte Nummer, auch wenn es hier etwas braucht bis sie den Hörer vollends erreicht.
Der von Beginn an fröhlich anmutende und verspielt klingende Synthie Pop-Track Tears wird stimmlich begleitet von Mari Kattman. Im Fokus stehen klare Melodien und knackige Bässe. Dass es sich bei Mari um eine großartige Sängerin handelt beweist sie hier ebenfalls ein ums andere mal. Die Klangdynamik wirkt gelungen und die zeitlich fein abgestimmten Sequenzwechsel wissen schnell zu überzeugen. Ein klassisches und gekonnt abgemischtes Stück Musik.
Dunkler und deutlich Bass-lastiger wird es sodann von Beginn an mit "Hall Of Mirrors". Die clubbige Rhythmik sowie die tieftönigen Sequenzen gepaart mit Sägezahn-lastigen Lead-Synths sorgen für eine Future Pop-Atmosphäre wie sie bereits Anfang der 2000er große Popularität fand. Die weiblich cleanen Vocals von Patrice versuchen sich in das Klanggemisch einzugliedern, dies gelingt jedoch leider nur marginal denn ihre leicht zittrige Stimme wirkt verkrampft und nimmt dem Song die Atmosphäre. Besser wird es als sie im Flüsterton mit zusätzlichem Reverb-Effekt anfängt zu singen. Manchmal ist eben weniger mehr.
Mit atmosphärischen Effekten setzt "Guilty Eyes" etwas gemächlicher nach. Die gesangliche Unterstützung übernimmt hier Damasius (Mondträume) und sorgt im Rahmen dieses sich nach und nach aufbäumenden Tracks für stimmlich angenehme Passagen. Der Song wirkt nicht ganz so schrill wie die vorherigen, was dem Gesamtwerk recht gut tut und überrascht hier und da mit klanglicher Raffinesse. Die Lead-Synths sind tonal schön gewählt und stimmen sich gelungen mit den Bass-Sequenzen und Drumlines ab. Gute Nummer!
Deutlich hochtöniger und weiblicher wird es im nächsten Song wieder mit "Caresse". Dabei überzeugt zunächst die gut abgemischte Überlagerung von Lead-Sequenzen und clubbigen Drum-Beats. Hier hält sich der Gesang Patrice's auch etwas mehr zurück bzw. schafft es eine stimmlich bessere Ergänzung darzustellen als in anfänglichen Songs. Prinzipiell ist auch das eine gut gelungene Nummer, allerdings weiß diese sich nicht sonderlich von anderen zu unterscheiden, was bis dato etwas an Abwechslung vermissen lässt.
Die Abwechslungs folgt sogleich mit überraschend Tribal-artigen Percussions und schön langgezogenen Atmosphäre-Pads bei der Ballade "In My Arms". Besonders überzeugen wissen bei diesem Song noch die abwechslungsreichen und gut gesetzten Drum-Passagen sowie die verträumt-verspielten Lead-Sequenzen. Außerdem stimmt sich Mari Kattman's Gesang hier abermals perfekt mit ein. Bester Track bisher!
"Loud" beginnt zunächst recht leise mit langgezogen gefilterten Bass-Synths und vespielten Effekten. Mit Anbeginn einer einseitigen Bassline setzt Jean-Luc de Meyer's gesangliche Raffinesse ein. Die Drum-Elemente fallen dabei straight und clubbig aus. Der gesamt Song tastet sich schleichend an den Hörer heran und wird ergänzt durch weitere klangliche Elemente wie technoide Sequenzen und atmosphärische Pads. Tonal schön und Oldschool-lastig gewählt weiß auch dieser Song gut zu überzeugen.
"Shallow Then Halo" knüpft dynamisch an den letzten Song an und wirkt sogar noch ne Schippe dunkler und EBM-lastiger. Auf Grund gesanglicher Unterstützung mit verzerrten Effekten durch Jan Dewulf (Diskonnekted) formt sich daraus ein gekonnt inszenierter und abwechslungsreich gestalteter Dark Electro-Song mit komplexen Klangstrukturen in Anbetracht gekonnt einsetzender Rhythmik. Weniger überzeugen können allerdings die verspielten Leads, dessen Tonfolge etwas abgehackt klingt.
Lars Bass (Kant Kino) supportet den recht hektischen EBM-Song "Etching Herself In Acid". Dieser fokusiert sich von Beginn an sehr straight durch eine durchlaufende Bassline und klassischem Kick-Snare-Wechsel. Die Vocals klingen recht verschroben und abgestumpft und wissen somit leider nicht zu überzeugen. Auf Grund der Supersaw-Leads könnte man auch auf Harsh Electro-Ansätze schließen. An und für sich aber ein recht rauher Song und leider ohne besondere klangliche Finesse. Schade!
Weiter geht es mit deutlicheren Harsh/Dark Electro-Ansätzen und dem Song "Ablation á Vif", was vor Allem aus der Gesangstimme von Dan Barett (Venal Flesh) hervor geht. Die für das Genre klassischen Movie Quotes sowie schroffen Lead-Synths sind ein besonderes Markenzeichen dieser Stilrichtung. Nichts desto trotz ist auch dieser Song fein abgemischt und liefert klanglich gelungene Drum-Passagen.
Noch einmal wird das Projekt supportet von Jean-Luc de Meyer und dem ebenfalls sich recht gemächlich in Bewegung setzenden Track "The Arrival". Dies stellt auch den längsten Song auf diesem Album dar und läd zum Zurücklehnen und Durchschnaufen ein. Schön gesprochene nachhallende Vocals werden kombiniert mit einer gedämpften Bassline und sich zurückhaltenden Beats. Atmosphärische Pads und Sequenzen begleiten das Ganze dann noch.
Mit verspielten Leads und interessanten klanglichen Ansätzen geht es wieder mit Patrice Vocals und dem Song "Nos Silences" weiter. Dabei handelt es sich um eine äußerst klassische Future Pop-Nummer mit klar abgestimmtem Arrangement und ohne großartige Überraschung in der Klanggestaltung.
Daraufhin setzt etwas hochtöniger, jedoch nicht weniger für das Projekt typischer, "Ritual Control" nach. Die Nummer ist Club-tauglich, läd zum Tanzen ein und überzeugt durch einheitlich abgestimmte Klangdynamik. Hier wissen in erster Linie die abwechslungsreichen Lead-Synths zu überzeugen während Patrice Vocals sich hier nicht schlecht eingliedern.
Den Abschluß macht dann mit schön gefilterten Sequenzen "Life In The Valley Of Death". Dieser wirkt ebenfalls recht fröhlich, Club-tauglich, klassisch und klingt einfach nach Aiboforcen. What you hear is what you get!
Wem das noch nicht reicht kann sich über dreizehn zusätzliche Tracks auf der Bonus Edition freuen, auf der sich unter Anderem der gleichnamige Album Track sowie einige Remixes namhafter Künstler befinden.
Fazit:
Sense & Nonsense ähnelt im Großen und Ganzen viel mehr einer Compilation als einem in sich geschlossenen Album. Dadurch, dass sich eine Menge Gastsänger aus der Alfa Matrix-Familie darauf befinden bekommt der geneigte Hörer nicht wirklich das Gefühl es mit einem durchgängigen Konzeptalbum zu tun zu haben. An und für sich hat sich jedoch in der Stilmittelfindung von Aiboforcen nicht viel geändert. Wie man es von den belgischen Label-Chefs gewohnt ist bekommt man hier die volle Alfa Matrix Bandbreite von Synthie/Future Pop über EBM bis hin zu Dark & Harsh Electro entgegen geworfen. Das Album ist wirklich dicht gepackt und bietet eine Menge Sound für die unterschiedlichsten Geschmäcker. Einige Songs wissen jedoch leider, allen Voran auf Grund der gesanglichen Einlagen, nicht zu überzeugen. Hier gilt vor Allem der Grundsatz: Weniger ist manchmal mehr. Prinzipiell ist das Album jedoch sehr gut abgemischt und man weiß auch, dass die Klangkünstler ihr Handwerk verstehen und einiges an Professionalität an den Tag legen. Geneigte Hörer können sich also über ein weiteres Album der Hausmarke "Made in Belgium" freuen!
Lieblingstrack: In My Arms
Bewertung: 8/10
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