10.12.2018

Full Contact 69 ‎– Selfdestruction


Genre: Electro-Industrial, Breakbeat
Release: 2018
Homepage: http://www.edriver69.com/

Wenn es um anspruchsvoll umgesetzten und zeitgemäßen Electro-Industrial geht hat sich in den letzten Jahren kaum eine andere Band so herausragend etablieren können wie die sympathischen Erfurter Full Contact 69. Der unermüdliche Mastermind Andreas Schubert, welcher auch mit seinen beiden anderen Projekten Edriver69 & Proleturan glänzt, erschuf zusammen mit dem perfektionistischen Sound Engineer Sebastian Schleinitz zu Anbeginn des Jahrzehnts einen Sound, den man in seiner dargebotenen Form nicht kannte und deren Machine-Trilogie einschlug wie eine Bombe. Nachdem alle drei bisherigen Alben beim russischen Label Razgrom Records veröffentlicht wurden entschied man sich nun unter eigenem Label eigene Wege zu gehen und mit Selfdestruction ein neues Kapitel der epischen Electro-Schlacht zu starten. Das Besondere an diesem Projekt ist stets eine Mixtur brachialer Sounds in einer dystopischen Klangatmosphäre kombiniert mit sozial- und wirtschaftskritischen Texten, welche einem Front Line Assembly in Nichts nachstehen. 
Darüber hinaus weiß die Band auch Live sehr gut zu überzeugen und ein Feuerwerk auf der Bühne zu entfachen, welches Seinesgleichen sucht. Das neue Album beinhaltet abermals zwölf neue Tracks mit einer Gesamtlänge von über einer Stunde und liefert ein futuristisches Cover Artwork. Wer sich diese CD entgehen lässt ist selbst Schuld.

Das Album startet mit dem Titel "Frozen" und atmosphärischer Drone-Fläche während unterschiedliche FX-Elemente, die sowohl Naturgewalten als auch Sci-Fi-artige Gefilde simulieren den Titel zu einem Filmscore-reifen Gebilde formen. Sehr schön erklingen auch die zur Mitte hin nachhallenden Wave-Leads sowie darauf folgende Bass-Synths. Wie vom Projekt gewohnt ist auch hier die Produktionsqualität abermals enorm hoch. Klasse Intro-Nummer, welche schnell unter die Haut geht.
Percussion-artige Breakbeats sorgen zu Beginn von "Classified By Casualty" dafür, dass der Hörer schon mal ein Gefühl dafür bekommt, dass es gleich voll zur Sache geht. Die Drum-Elemente weiten sich nach und nach aus, während vereinzelte Synth-Klänge und Sequenzen in einer faszinierend harmonischen Überlagerung einen gesunden Flow in den Song hinein tragen. Die einsetzenden Vocals beginnen überraschend erzählerisch und von düsterer Stimmlage beseelt, wie man sie nur von einem Bill Leeb kennt. Auch hier sind die zusammengeführten Elemente wieder eine Klasse für sich und sorgen für einen enormen Detail- und Abwechslungsreichtum. Ein wahres Klangfeuerwerk von Anfang bis Ende!
Mit einer Explosion und Bass-lastig rapiden Sequenzen formt "Trinity" in Anbetracht der akustisch klingenden Drums einen überraschend rockigen Sound. Die Vocals treten auch hier eher gesanglich und weniger verzerrt geshoutet in Erscheinung. Wirkt etwas unüblich für dieses Projekt, weiß jedoch ebenso gut zu überzeugen. Nach kurzer Zeit sorgen noch melancholische Wave-Pads und melodiöse Lead-Synths für weitere klangliche Abwechslung, während der Drumbeat gemächlich und straight durch läuft. Ein weiteres Schmanckerl stellen ebenfalls die eingebrachten Effekte dar. Ein etwas ungewöhnlicher FC69-Song, der jedoch nicht minder beeindruckend wirkt wie die brachialen Nummern.
Der gleichnamige Albumsong macht weiter mit etwas verspielteren Sequenzen, Stereo-Effekten und Percussion-lastigen Drums. Dazu kommt noch eine feine Sci-Fi-Atmo sowie verschrobene Gitarren-Riffs, welche das perfektionistisch anmutende Klangbild vollenden. Auch hierbei handelt es sich durch und durch um eine gelungene Nummer, die erst im Refrain so richtig zur vollen Geltung kommt. Die Vocals gehen hierbei jedoch etwas unter und treten vermehrt in den Hintergrund.
"My Own God" ist deutlich Bass-lastiger und fokusiert auf technoide Sequenz-Spielereien sowie sich gekonnt überlagernde Breakbeats. Der Song ebnet nach kurzer Zeit einen ziemlich coolen Flow und spielt ebenfalls mit anderen Vocal-Effekten als üblich. Lead-Sequenzen und Reverb-lastige Elemente formen eine sehr ambiente und nachdenkliche Nummer. Je länger man sich den Track anhört umso deutlicher ist die innerhalb der Klangstruktur befindliche Melancholie erlebbar. Schöne Sache!
Düster und Bass-lastig bleibt es auch bei "Protein Of Addiction", wobei die hier einsetzenden Chor-Pads für einen besonders unheimlichen Effekt sorgen und in Kombination mit den gekonnt inszenierten FM-Sequenzen den Hörer auf ihre ganz eigene Reise mitnehmen. Eine dicke Bassdrum und sich darüber hinaus überlagernde Lead-Sequenzen lassen die Sci-Fi-Atmosphäre, welche sich aus unterschiedlichsten Klangreichtümern zusammensetzt weiter steigern. Nach ca. zwei Minuten beginnt der Song so richtig Fahrt aufzunehmen und sorgt für eine tanzbare Rhythmik sowie ein überaus abwechslungsreiches Klangbild. Die Vocals treten dabei ausnahmsweise doch mal in gewohnt verzerrter Montur in Erscheinung, was zum düsteren Klangbild im 1990er FLA-Stil sehr gut dazu passt. Bester Song auf einem bisher von Grund auf hochklassigen Album.
Mit der kritischen Aussage "Dying For Profit" und ambient im Hintergrund geratende Flächen sowie herausstechende Bass-Sequenzen macht die zweite Hälfte effektreich weiter. Atmosphärisch stark setzen auch darauf folgende Pads und dicke Drum-Spuren nach. Der Track wirkt deutlich technoider und in straightem Gewand abgeklärter als vorherige und überzeugt auch Vocal-seitig ganz stark. Hier ertönen ebenfalls wieder Gitarren-Riffs und experimentell zischende Klangspielereien. Auch ein guter Song, dieser wirkt jedoch im Vergleich zu den vorherigen Nummern etwas blasser, so dass der geneigte Hörer etwas an Volumen und Überraschungsmomente vermisst. Verwöhnte Luxusprobleme.
Mit einer verspielten Bassline und effektreichen Sequenzen setzt "Born To Sold" an. Nach bekannten Movie Samples sorgen Breakbeat-Rhythmen und Lead-Sequenzen für eine abermals tanzbare Nummer. Auch hier formen kritische Lyrics innerhalb cool ausgeschmückter Vocals eine imposante Nummer, die einsetzenden, quietschenden Effekte wirken jedoch auf Dauer etwas zu penetrant und auch dieser Song steht auf Grund seines Arrangements leider etwas im Schatten zu denen der ersten Albumhälfte. 
Mit effektreichen Sequenzen, die auf eine Störung hindeuten könnten, macht "I'am The Machine Of Your Lethargy" weiter. Dazu kommen noch eine straighte Bassline sowie knallharte Drum-Elemente, die ein volles, wenn auch passend technoides, Klanggewand ebenso ausfüllen wie experimentell einsetzende Vocals. Imposante Nummer, welche mit einer starken Liebe für Details sowie einer hohen Experimentierfreude hörbar produziert wurde.
"Narcisstic And Vain" beginnt mit Gelächter und eigensinnigen Lead-Sequenzen, welche schnell musikalisch ineinander geführt werden. Auch hier ist ein deutlicher Hang zur Experimentierfreude direkt erlebbar. Die Vocals setzen jedoch etwas Abseits des instrumentellen Teils an und sorgen dafür, dass der Hörer zunächst nicht ganz so schnell schlau aus dem Song wird. Als dann der Refrain einsetzt gewinnt das Ganze erst ordentlich an Fahrt und lässt den Track zunehmend spannender werden. Auf diesem Level verharrt das Ganze jedoch auch, so dass man als Hörer vergeblich auf eine Art Höhepunkt wartet. Cool und verquer zugleich.
Was mit den drei Buchstaben "WTF" gemeint ist sollte eigentlich jedem Internet-Nutzer heut zu Tage klar sein. Klanglich treten zunächst langatmige Flächen und vereinzelt, tonale Elemente in den Vordergrund. Bass-lastige Synths und alarmierende Geräusche sind die nächste Stufe. Die klaren Gesänge kommen stark zur Geltung und ergänzen sich atmosphärisch gekonnt in diese sehr schön zusammengesetzte Struktur. Dafür sorgen auch noch die verträumten Pads und die sich langsam aufbäumenden Effekte, die zu straighten Drumbeats führen. Überaus überzeugende und wunderschön inszenierte Nummer!
Den Abschluß dieses hervorragend dargebotenen Albums macht noch der ambiente "One Foetus Left", welcher zunächst ebenfalls sehr Sequenz-lastig mit spacigen Synths in Erscheinung tritt und einen hohen Anteil an Melodie-Reichtum bereit hält. Langsam bäumt sich diese instrumentelle Nummer Stück für Stück auf, bis zusätzlich dicke Drumloops und Sample-Einlagen dafür sorgen, dass der atmosphärische Anteil weiter zunimmt. Das Album endet somit mit einem sehr schön inszenierten Outro.

Fazit:
Das hier vorliegende Full Contact 69-Album ist in keinster Weise mit den vorherigen zu vergleichen und unterscheidet sich deutlich von der Machine-Trilogie. Das mag eingefleischte Fans vielleicht streckenweise zunächst verwirren, doch ist es in nicht weniger innovativ umgesetzt. Es treten nach wie vor abwechslungsreiche Klangelemente und Breakbeat-lastige Rhythmiken auf, jedoch in einem atmosphärischeren und ruhigeren Klanggewand und somit auch weniger brachial. Die integrierten Vocals sind hier ebenfalls größtenteils clean gesungen und weniger verzerrt geshoutet, was oft auf eine melancholische Weise schön und anmutig wirkt. So erinnert das Ganze viel mehr an eine Mischung aus Schubi's im letzten Jahr erschienenen Proleturan- und dem aktuellen Front Line Assembly-Album. Hier und da vermisst man als geneigter Hörer jedoch schon etwas mehr Brachialität und den straighten Fist up-Gang nach vorne, was allerdings wohl aber nicht die Intension von Selfdestruction ist und es sticht auch heraus, dass auch eine Band wie FC69 sich stets weiter entwickelt. Als Hörer, welcher das Ganze von Anfang bis Ende genüßlich durchhört sollte jedoch auch erwähnt werden, dass die zweite Hälfte des Albums etwas im Schatten der ersten Hälfte steht und einige Klangelemente nicht ganz so tonal zueinander passen. Das ist jedoch in Anbetracht der dargebotenen Qualität jammern auf hohem Niveau! Somit: Mal wieder ein klasse FC69-Album!

Lieblingstrack: Protein Of Addiction

Bewertung: 9(,5)/10

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