27.02.2019

Front Line Assembly ‎– Wake Up The Coma


Genre: Breakbeat, EBM, Harsh Electro, Electro-Industrial, Dark Electro, Synthwave, Electro Pop
Release: 2019

Front Line Assembly haben sich ohne Zweifel in den letzten Jahrzehnten zu einem der legendärsten und einflussreichsten Projekte im Electro-Underground etablieren können. Es bedarf nicht vieler Worte um zu wissen, dass treue Leser wissen worauf sie sich bei dieser Band einlassen. Im Fokus stand auch stets der Facettenreichtum dem man bei den beiden Masterminds hinter diesem Projekt, Bill Leeb & Rhys Fulber, ausgesetzt war. Jedes Album lieferte einen komplett neuen Input, so dass man als geneigter Hörer vorher nie wirklich ahnen konnte mit welchen klanglichen Einflüssen man es als nächstes zu tun bekommt. Als Bill Mitte der 1980er nach Beteiligung bei Debut-Album von Skinny Puppy auf Rhys traf war es tatsächlich die Geburtststunde von FLA. Bereits die ersten Alben, welche noch stark am Oldschool EBM mit Darkwave-Einflüssen orientiert waren schlugen gekonnt ein. Zur Mitte der 1990er befand sich die Band bereits auf der Überholspur und fand sich im Industrial Rock wieder. Dies mündete zum Ende des letzten Jahrtausends in eine kurze, jedoch recht intensive Techno-Phase, nur um daraufhin in eine deutlich ambientere Richtung Anfang der 2000er einzuschlagen. Zur Mitte des letzten Jahrzehnts trat der mittlerweile leider verstorbene Jeremy Inkel in Rhys' Fußstapfen und mischte innerhalb des Projekts noch zusätzlich Drum'n Bass- & Breakbeat-Alüren in Artificial Soldier hinein um daraufhin zu Beginn dieses Jahrzehnts noch eine Priese Dubstep in Echogenetic und den beiden Mech-Alben zu ergänzen. Schon allein aus dieser kurzen chronologischen Reihenfolge lässt sich schließen: FLA-Fans wird bei dieser Band nie langweilig. Seit kurzem ist Rhys Fulber wieder fester Bestandteil des Projekts und veröffentlichte zusammen mit Bill Leeb ein komplett neues Vocal-reiches Album mit dem Titel Wake Up The Coma. Dieses Album erscheint wie gewohnt digital, auf CD wie auch auf Vinyl beim US-amerikanischen Label Metropolis Records und liefert 12 neue Tracks mit insgesamt einer Stunde Spielzeit. Eine Menge Hörer warteten  bestimmt bereits lange auf diesen Release, welcher abermals mit einer eindrucksvoll künstlerischen Cover-Optik erscheint. Man darf sich de facto erneut auf etwas komplett Eigensinniges gefasst machen!

Das Album beginnt mit einem bereits im Vorfeld veröffentlichten und zusammen mit DAF-Drummer Robert Görl aufgenommenen Track Namens "Eye On You". Dieser beginnt mit einer treibenden und für Robert typischen MS20-Bassline, welche es wirklich in sich hat. Die Lead-Melodien ergänzen sich leider nur semi-melodiös hinzu. Die unvergleichlichen Vocals eines Bill Leeb tragen jedoch äußerst positiv zum aggressiv anmutenden Gesamt-Track bei. Die Drums liefern einen tanzbaren Flow, so dass es sich in Anbetracht des Arrangement um einen klassischen, modernen Club-Track handelt. Ein guter Floorstomper, der sich nicht verstecken braucht.
Mit einer bedrohlich anmutenden EBM-Bassline geht es weiter mit dem sich aufbäumenden Song "Arbeit". Dieser mündet nach kurzer Zeit weiter in eine fette Breakbeat-Drumline und liefert eine ordentliche Portion, zum Pogo animierenden, EBM ab. Sowas hat man in der Form bei FLA tatsächlich schon lange nicht mehr gehabt. Darüber hinaus wirken die abwechslungsreich gehaltenen Vocals von Bill Leeb, bei dem sowohl englischer wie auch deutscher Sprachgebrauch zur Geltung kommt, sehr überzeugend. Einige der verqueren Effekte haben wieder ihre Eigenart, fallen jedoch nicht negativ ins Gewicht. Die atmosphärische gehaltene Break und die dazugehörigen Pads scheinen streckenweise leider etwas fehl am Platz.
Daraufhin folgt die ohne Zweifel schrägste Nummer des gesamten Albums bei dem es sich um eine Cover-Variante des berühmten Falco-Songs "Rock Me Amadeus" handelt. Dieser wurde bereits im Vorfeld über ein äußerst verstörendes Youtube-Video (Link) veröffentlicht und sorgte bei tausenden Fans für Verwirrung. Mindless Self Indulgence-Frontmann Jimmy Urine übernimmt den Part eines Möchtegern-Falco-Verschnitts im Gesang und überzeugt in keinster Weise. Darüber hinaus sind die gewählte Tonalität und die darüber gelagerten Effekte sehr untypisch für FLA, so dass man sich als Hörer tatsächlich fragt welche Drogen die Band bei der Aufnahme dieses Songs wohl zu sich genommen hat. Das einzig was hier positiv auffällt ist der Beat und das Mixing, ansonsten handelt es sich dabei um den tatsächlich schlechtesten FLA-Song seit Langem.
Bei "Tilt" wird man mit etwas überspitzten Leads konfrontiert, welche zunächst an klassischen Hardstyle erinnern. Zum Glück ist dies nur ein Trugbild und im Fokus steht hauptsächlich eine eintönige Bassline sowie eine äußerst komplexe Soundstruktur mit typischen FLA-Elementen. Die Vocals sind düster gehalten und befinden sich im gekonnten Einsatz, jedoch wirkt der gesamte Song auf gewisse Weise etwas unreif, so dass man als Hörer hier einen gewissen Tiefgang und Kreativgeist schnell vermisst. Eine Überlagerung verquerer Töne findet darin statt, dass während einer eigensinnigen Dynamik mit unterschiedlichen Effekten experimentiert wird. Doch auch das kann die Band deutlich besser.
Mit einer düsteren Bassline setzt "Hatevol" in dumpfer Tonlage an. Die nach kurzer Zeit einsetzende EBM-Bassline sowie die dicken Drum-Elemente passen wieder äußerst gekonnt zu Front Line Assembly. Auch die knapp gewählten Lyrics inklusive gelungener Vocal-Leistung von Bill machen diesen Song zu einem vertrauenswürdigeren Track, welcher über seinen gesamten Verlauf zu überzeugen weiß. Die abwechslungsreich gestalteten Tonalitäten innerhalb der Grundsequenz sowie die maschinellen Synth-Effekte sorgen ebenfalls dafür, dass dieser Song auch im weiteren Verlauf einen positiven Gesamteindruck hinterlässt.
"Proximity" beginnt mit einer gemächlichen Synthwave-Sequenz sowie im Hintergrund verhallende Effekte. Eine vulominöse Bassline und knallige Drum-Elemente sorgen für einen Breakbeat-artigen Song, der noch von Leeb's melancholischem Gesang ummantelt wird. Dieser ist gut gewählt, liegt streckenweise jedoch etwas schwach auf der Brust. Der verspielte Melodie-Anteil und das darauf ansetzende schnellere Tempo zur Mitte hin wirken etwas kontraproduktiv was das Sound-Image betrifft.
Daraufhin gibt es mit "Living A Lie" einige maschinelle Sound-Effekte und FLA-typische Spielereien. Doch dann kommt die absolute Überraschung als ein schranziger Harsh Electro-Beat und Hardstyle-affine Leads den Song weiter geleiten. Die Vocals kommen gut, wenn auch etwas im Hintergrund verhallend. Prinizipiell liefert dieser Song jedoch eine klassische Aggrotech-Struktur, die man so von FLA noch nicht zu Gehör bekam. Der Refrain wiederum macht den Eindruck eines Radio-Club-Songs und wirkt auf eine eigensinnige Art und Weise etwas kindisch. Dieses Gemisch aus zusammenhangloser Strukturierung unterschiedlicher Facetten und unzugänglicher Klangerzeugung enttäuscht leider über die gesamte Songlänge.
Der gleichnamige Albumsong beginnt mit etwas ambienter strukturierten Klängen und abwechslungsreichen Synth-Effekten. Die Dark Electro-lastigen Beats kommen gut an und erinnern etwas an in der Slowakei ansäßige Projekte. Der Gesang von Paradise Lost-Sänger Nick Holmes kommt gelangweilt rüber und auf Grund seines hellen Erscheinungsbildes ergänzt sich dieser nicht wirklich zur dunklen Tonlage hinzu. Instrumentell ist dieser Song allerdings wiederum stärker umgesetzt, auch wenn während der Breaks einige unsichere Anteile in Erscheinung treten. Die gesangliche Unterstützung hätte sich die Band allerdings sparen können.
Der darauf folgende "Mesmerized" hat weniger etwas mit dem bekannten FLA-Evergreen zu tun, sondern liefert einen komplett neuen Track, welcher schon einmal richtig fett beginnt. Dafür sorgt eine bedrohliche Bassline, dicke Beats und eine spannende Sci-Fi-lastige Atmosphäre. Durch Vocoder-getriggerte Vocals wird die Spannung weiter angehoben sowie das Arrangement immer weiter aufgebaut. Hier wird endlich mal wieder ein richtig guter Front Line Assembly-Song geliefert, der von Anfang bis Ende zu überzeugen weiß! Warum nicht gleich so?!
Mit Synthwave-lastigen Sequenzen setzt "Negative Territory" an. Langgezogene atmosphärische Pads und eine dicke Bassdrum sorgen für eine mysteriöse Stimmung. Auch die darauf folgenden hochtönigen Sequenzen und die melodiösen, melancholischen Vocals kommen gut an und schaffen eine Atmosphäre, die zum Zurücklehnen und Durchschnaufen einläd. Das Arrangement klingt etwas nach Electro Pop, ist jedoch an der Stelle gelungen umgesetzt.
"Structures" beginnt ebenfalls mit mysteriösen Klängen und Reverb-lastigen Sequenzen. Ein clubbiger Beat sowie weitere verspielte Synth-Effekte ergänzen sich zu einer Nummer zwischen Synth Pop & Dark Electro. Die Vocals kommen stark zur Geltung, die poppigen Ansätze sind hier jedoch ein wenig zu viel des Guten. Das komplexe Arrangement macht eine Menge her und sorgt bestimmt bei einigen Hörern für eine vertraute Atmosphäre.
Der aus vielen Projekten bekannte Sänger Chris Conelly durfte als weiterer Gastsänger für den letzten Song des Albums Namens "Spitting Wind" dienen. Auch hierbei handelt es sich eher um einen Dark Electro-Track mit komplexem Arrangement. So finden sich einige vertraute Front Line-Elemente und eine Menge gelungener Synth-Effekte wieder. Jedoch auch hier gilt: Den Gastsänger hätte man sich echt sparen können. Die Opern-haft gesungenen Darkwave-Ansätze ergänzen sich überhaupt nicht ins Gesamtgemisch und leider endet das Album so ernüchternd wie es über den ganzen Verlauf schon war.

Fazit:
Eine Menge Hörer haben sich von dem hier vorliegenden Wake Up The Coma bestimmt eine Menge erhofft, doch leider liefern Front Line Assembly eines der bis dato schlechtesten Alben ihrer gesamten Karriere. Es finden sich abermals verschiedene Einflüsse wieder und es ist auch eine Menge Abwechslungsreichtum geboten, so dass zumindest behauptet werden kann, dass die Band ihrer Linie treu bleibt wieder einen komplett neuen Album-Ansatz verfolgt zu haben. Allerdings klingt das streckenweise äußerst daneben und als geneigter Fan vermisst man über weite Teile eine Menge Kreativität und Atmosphäre. Die Songs welche am negativsten ins Gewicht fallen sind tatsächlich diejenigen für die Gastsänger zum Einsatz kamen. Diese hätten als reine Instrumental-Tracks deutlich besser gewirkt. Die richtig guten Tracks sind diejenigen, bei denen der alte FLA-Ansatz zum Tragen kommt und auch die EBM-Ära etwas mehr durchsickert. Schade, allerdings dass das Gesamtergebnis extrem ernüchternd ausfällt.

Lieblingstrack: Mesmerized

Bewertung: 6/10

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen