11.03.2019

Amnistia - Black Halo


Genre: Dark Electro, EBM, Electro-Industrial, Synth Pop
Release: 2019

Auf der Suche nach einer Begriffsbedeutung für Amnistia stößt man schnell darauf, dass es sich hierbei um den katalanischen Ausdruck für Amnestie handelt. Das wiederum bedeutet so viel wie ein vollständig oder zu Teilen erfolgter Straferlass für eine Vielzahl von Fällen, beseitigt jedoch weder Urteil noch Schuld des Straftäters. Das aus Leipzig stammende, sympathische Musikprojekt wiederum stellt alles andere als eine Straftat dar. Mitte der 2000er gestartet, erschuf das kreative Electro-Kollektiv um Stefan Schötz, Tino Claus & Jan Moritz in regelmäßigen Abständen ein viel versprechendes und erfrischendes Album nach dem Anderen. Eine Weiterentwicklung war mit jedem neuen Release stets erlebbar und so brachte das Projekt bereits von Beginn an eine Menge klanglicher Potenziale zum Vorschein. Von Neophyte bis Dawn wurde der Facettenreichtum sowie eigene Anspruch über ein Jahrzehnt mit fünf bisher erschienenen Alben ausgedehnt. Als geneigter Hörer durfte man sich somit stets über neue Eindrücke erfreuen und auch gerne mal überraschen lassen. Zusätzlich sind die tiefgründigen Lyrics, verpackt in knallharten Vocals auch immer ein Genuß. Klanglich lässt sich das Projekt ebenfalls kaum in eine Schublade stecken, so lassen sich schnell sowohl Dark Electro-, Electro-Industrial- wie auch EBM-Einflüsse in unterschiedlicher Verteilung auf den einzelnen Alben feststellen. Auch bezüglich des neuesten Releases Black Halo, welches in Kürze das Licht der Welt erblicken darf, hat sich einiges getan. Stefan & Tino arbeiten jetzt nur noch zu zweit, da Jan das Projekt vor ein paar Jahren leider verlassen musste. Darüber hinaus erscheint das Album nicht mehr wie bisher gewohnt bei Scanner, sondern beim Eigen-Label 9XO Media. Was auch stets ein tragendes Element des Projekts war sind die kreativ in abstrakter Optik umgesetzten Album Cover, so auch bei Black Halo. Das Album erscheint mit einer klassischen Menge an zwölf Tracks und ca. einer Stunde Spielzeit. Besonders gut informierte Fans lassen sich jedoch die limitierte Sammler-Box inkl. Bonus CD, T-Shirt und Fan-Karten nicht entgehen.

Das Album beginnt mit einem sogenannten, vertrauten "Ini7", welches im hier vorliegenden Fall ein Intro darstellt. Bei Dawn wurden noch einige Filler-Tracks mit dieser Bezeichnung geschmückt. Dieses Intro ist mit atmosphärischen Effekten, sowie mit einer technoiden, Bass-lastigen Synthfläche hinterlegt und sorgt dafür, dass zunehmend Spannung aufgebaut wird.
Der erste eigentliche Track mit dem Titel "Package Of Regrets" setzt mit langsamen Percussion-lastigen Beats an, wie er einem bereits von Dark Electro-Projekten wie Skinny Puppy oder Fix8:Sed8 vertraut ist. Darüber hinaus wirken die Violin-lastigen, atmosphärischen Flächen äußerst anmutig. Eine FM-lastige Synth-Sequenz und leicht verzerrte Vocals sorgen für eine technologisch motivierte Atmosphäre. Ein kalter und knallharter Song zum Auftakt, welcher sich vor Allem im Refrain zu voller Größe entfaltet. Abwechslungsreich und stilvoll umgesetzt.
Mit verspielten Sci-Fi-lastigen Effekten setzt "The Itch" weiter an. Tanzbare, straighte Drums sowie eine imposant einsetzende Bassline sorgen für eine starke und schnelle Nummer. Die Vocals kommen rauh, ebenso auch die kurz darauf einsetzenden Synth-Sequenzen. Allerdings hapert es mit der zur Mitte hin penetrant einsetzenden Snaredrum und den darauf folgenden orchestralen Pads etwas an Harmonie. Der Eindruck auf den Hörer erscheint etwas verquer, da es Zeit braucht bis die Komplexität des hier zu Grunde liegenden Arrangements vollständig begriffen wird. Eine harte Nummer und somit auch etwas schwere Kost.
Der darauf folgende "Through The Night" liefert bereits zu Beginn eine Menge Atmosphäre und den gekonnten Einsatz eines tanzbaren Beats sowie eine Synth Pop-artige Bassline. Auch die darauf folgenden Pads erscheinen eher Wave-lastig, so überraschen Amnistia hier ein ums andere mal mit einem ganz neuen Ansatz ihrer musikalischen Klanggestaltung. Die Vocals kommen stark zur Geltung, ebenso auch die darauf aufbauenden Synth-Sequenzen und weitere klangliche Raffinessen. Sehr schöne und düster gehaltene Nummer.
Daraufhin folgen mit dem gleichnamigen Albumtrack verquere Effekte sowie einige Sprachsamples und abwechslungsreich umgesetzte Drums und Synth-Sequenzen. Die Klanggestaltung und das Arrangement erinnern stark an frühe Skinny Puppy-Tracks, auch die Art wie die Vocals zur Geltung kommen machen den Dark Electro-Königen alle Ehre. Im Refrain wird es nochmal richtig wild als imposante Samples sich mit dem straighten Beat und knallharten Vocals mischen. Ein äußerst experimenteller und gewöhnungsbedürftiger Ansatz, den man in der Form ebenfalls von Amnistia bisher nicht zu Gehör bekommen hat.
"The Haunted" beginnt mit einem Tribal-lastigen Drumbeat sowie schönen Tonalitäten in Anbetracht der Synth-Bässe und Lead-Sequenzen. Nach kurzer Zeit nimmt der Song richtig Fahrt auf und überzeugt durch ein genial umgesetztes Klanggemisch unterschiedlichster Synth-Sequenzen, gekonnt einsetzender Vocal-Shouts und atmosphärischer Soundflächen. Perfekt!
Die zweite Hälfte beginnt mit dem US-kritischen Song "Crowds Cheer Verdict", was von Beginn an allein durch den Gebrauch entsprechender Sprachsamples klar gemacht wird. Musikalisch präsentiert sich der Song an Hand der atmosphärischen Synth-Flächen sowie den gelungenen Einsatz der Drums als eine überaus starke Nummer. Verspielte Synth-Bässe und effektreiche Leads sorgen darüber hinaus noch für ein abwechslungsreich zur Geltung gebrachtes Arrangement. Die Vocals setzen sich aus gedankenversunkenen Shouts zusammen und kommen gut zur Geltung. 
"Last Words Purify" ist von Beginn an zunächst etwas zurückhaltender und liefert wieder einige Skinny Puppy-ähnliche Ansätze an Hand der abwechslungsreich gestalteten und Percussion-lastigen Drum-Elemente. Eine straighte EBM-Bassline sowie Wave-artige Pads sorgen zusätzlich für eine dunkle Atmosphäre. Die Spannung wird stets immer weiter aufgebaut bis sich der Track mit Einsatz der Vocals zu voller Größe entfaltet. Ein Stück für Stück ineinander aufbauender Song, den man sich erst genauer zu Gemüte führen muss um ihn wirklich vollständig zu begreifen.
Daraufhin folgt mit "Misery" ein weiterhin atmosphärischer Track mit klarem Beat und schönen, hochtönigen Synth-Spielereien. Wave-Pads und Sprachsamples verstärken die tiefgreifende Stimmung noch weiter. Die Vocals kommen knallhart zur Geltung, ebenso auch die sich überlagernden Lead-Sequenzen. Ein absoluter Stilbruch entsteht daraufhin im Refrain, jedoch bleibt der Track seiner Harmonie treu und schafft es auch über weite Strecken zu überzeugen.
Etwas experimenteller und auch Ritual-lastiger wird es daraufhin mit "Suffer". Äußerst verspielte Drum- und Synth-Elemente gehen gekonnt ineinander über und werden begleitet von einer sehr gelungenen Bassline. Überlagernd gesellen sich noch entsprechend vertraute Vocals mit schön gewählten Lyrics hinzu. Auch die Melodien fallen recht experimentell aus und dennoch schafft es der Track eine gewisse Harmonie beizubehalten. Sehr interessant und faszinierend in Szene gesetzt.
"In Between" beginnt mit mysteriös, dumpfen Flächen und einigen hochtönigen Leads. Es wird weiter Spannung durch dezente Bass-Synths und Sprachsamples aufgebaut. Die Drums kommen nach kurzer Zeit stark zum Einsatz, während Zisch-Effekte und Wave Pads noch einen sehr schönen Teil zum Gesamtvolumen des Songs beitragen. Die dunklen Vocals kommen erzählerisch zur Geltung und ergänzen sich perfekt ins Klanggemisch. Eine von Anfang bis Ende wundervoll inszenierte Nummer!
Den Abschluß macht "We Do Not Disturb Our Dead" mit atmosphärischen Effekten und knallharten Industrial-Beats. Auf diese Weise wird aus einer Kombination verquerer Töne und Geräusche für ein leicht verstörendes Dark Sci-Fi-Outro gesorgt, welches in seiner Klanggestaltung etwas an Blac Kolor erinnert. Wer sich die Bonus CD ergattert darf sich noch über sechs weitere Tracks sowie vier Remix-Varianten unter Anderem von Jihad & Terminal State freuen.

Fazit:
Auch das neueste Gesamtkunstwerk von Amnistia sorgt einmal mehr für eine gekonnte Überraschung. Dieses Album ist Dark Electro-lastiger als die bisherigen Releases und liefert ein hohes Maß an Facettenreichtum. Darüber hinaus zeigen sich Stefan & Tino auf Black Halo experimentierfreudiger denn je. Bei der Produktion dieses Albums wurde wohl weniger darauf geachtet der Harmonielehre entsprechende Tracks mit klassischem Arrangement zu erstellen, sondern einfach mal mit ganz neuen Ansätzen und Klangspielereien einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Zum Einen gibt es durchaus Tracks die an frühe Amnistia-Tracks erinnern, zum Anderen zeigt das Projekt jedoch auch, dass es nach wie vor in der Lage ist etwas Neues zu wagen.  Darüber hinaus fällt Skinny Puppy, vor Allem bei diesem Album, mehr denn je als Inspirationsquelle  auf. Während das letzte Album Dawn noch einen deutlich EBM-lastigeren und brachialeren Ansatz verfolgte, handelt es sich bei Black Halo um ein atmosphärisches Dark Electro-Album mit überaus verquerer Klangtiefe. Die meisten Tracks haben ein gemächliches Tempo inne, auch wenn die Sequenzen gerne mal Fahrt aufnehmen lassen sich diese nicht aus der Ruhe bringen. Zugegeben: Streckenweise gibt es zur Mitte hin einige Nummern, die wohl auf Grund der Experimentierfreude auf den Hörer nicht immer harmonisch wirken. Hier fehlt es etwas an Vertrautheit und es Bedarf einiges an Zeit sich erst einmal einen klaren Eindruck zu verschaffen. Dennoch oder gerade deswegen ist ein hoher Kreativgeist deutlich feststellbar und auch Black Halo weiß wieder als Gesamtkunstwerk zu überzeugen! Auch wenn es aus Ansicht mancher vielleicht nicht an das überaus perfekt umgesetzte letzte Album, Dawn, ran kommt so werden Fans von Skinny Puppy, Fix8:Sed8 oder auch Mentallo & The Fixer hier ihre pure Freude damit haben.

Lieblingstrack: The Haunted

Bewertung: 9/10

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