08.05.2019

Plastikstrom - Beton Gegen Angst


Genre: Minimal Electro, EBM, Dark Wave, New Wave
Release: 2019

Mit dem nun hier vorliegenden Album hat wohl kaum noch jemand gerechnet, vor Allem da es bereits seit knapp zwei Jahrzehnten mehr als fällig war. Die Band Plastikstrom existiert nämlich nicht erst seit gestern sondern bereits seit Mitte der 1990er Jahre und stammt aus einer Ära indem man sich zufällig in ranzigen Punk- & Wave-Kneipen begegnete, mit Vintage Synthesizern experimentierte und kurzer Hand beschloß eine Band zu gründen. Die Kernmitglieder der Band heißen Matthias Günzler & Jürgen Schips, deren musikalische Wurzeln zum Einen in der ehemaligen Goth Rock-Band Darc Entries zu finden sind und deren Existenzgründung von Plastikstrom zum Anderen auf einem Proberaum innerhalb einer, mittlerweile abgerissenen, alten Fabrik in Reutlingen beruht. Bis auf wenige selbst veröffentlichte und bereits längst vergriffene Demo-CDs Anfang der 2000er konnten Fans dieser kultigen Band, die bereits mehrmals Live auftrat, leider nicht in den Genuß kommen Plastikstrom auf ihrer Heimanlage hören zu können. Nach ein paar namhaften Live-Gigs war es dann leider auch relativ schnell still um das innovative Duo. Doch trotz (oder gerade wegen) diesem raren Auftreten ist das Projekt mittlerweile zu einer Kultband avanciert. Umso mehr kann sich der geneigte Hörer und aufmerksame Fan nun darüber freuen, dass letztes Jahr ein Deal mit dem erfolgreichen Augsburger Wave-Label Young And Cold Records zu Stande kam. Dies trägt mit dem kürzlich veröffentlichten Konzept-Album Beton Gegen Angst Früchte und kann sowohl auf Vinyl, CD wie auch digital erworben werden. Das Album beinhaltet einige aufgemotzte Klassiker wie auch neue Tracks und umfasst mit dreizehn Stücken knapp eine dreiviertel Stunde Spielzeit getreu dem Motto "Qualität statt Quantität"!

Der erste Titel lautet "Das Fundament" und setzt mit einigen verspielt zischenden und leicht noisigen Sequenzen, Reverb-lastigen Pads sowie einer sich überlagernden Bassline an. Über mehrere Layer ergänzen sich zusätzliche Strukturen und Tonalitäten ins Arrangement mit hinein. Diese schaffen eine mysteriöse und melancholische Atmosphäre und wurden auf eigensinnige Art und Weise integriert.
Schnell wird klar, dass es sich hierbei um das Intro des darauf folgenden gleichnamigen Albumsongs  handelt. Dieser verharrt zunächst auf gleich bleibenden Tonlage, wird jedoch desweiteren ergänzt durch schwere Drumloops und deutsch gesungenen, düsteren Vocals die eine kritisch intelligente Message zum Besten geben. Auch weitere melodische Lead-Synths, welche sich gut mit dem gesamten Arrangement ergänzen wissen zu überzeugen. Ein durchaus überzeugender Dark Wave-Song, der von Anfang bis Ende unter die Haut geht!
"Großstadtalarm" beginnt daraufhin mit vertraut minimalistischen Drums, hochtönigen Sequenzen sowie rhythmischen Bass-Synths. Die effektbehafteten Vocals werden künstlerisch und im typischen  NDW Schluckauf-Gesangsstil wiedergegeben. Die gesamte Nummer ist durchgehend monoton gehalten, schafft es dennoch mit so einigen klanglichen Raffinessen immer wieder auf andere Details aufmerksam zu machen!
Mit dem durchaus aufgemotzten Klassiker "Grosny" geht es mit bedrohlichen Sequenzen und tanzbaren Beats ordentlich zur Sache. Die Vocals kommen gelungen zur Geltung und auch die melodischen Orgel-lastigen, spooky Lead-Synths machen eine Menge her. Zur Mitte hin entfaltet sich der Track weiter zu voller Größe und liefert einen genial inszenierten EBM-Track, welcher atmosphärische Pads und dicke Sequenzen kombinatorisch klasse zum Besten gibt. Geile Sache!
"Heut Nacht" beginnt zunächst mit etwas experimentelleren Synth-Spielereien, weiß jedoch durch straighte Beats sowie einer groovigen Bassline ein klanglich fein abgestimmtes Tonmuster dem Hörer zu übermitteln. Die Vocals erscheinen dabei eher wie eine zusätzliche Instrumental-Spur, die etwas in den Hintergrund gerät. Auch hier finden sich einige raffiniert, klangliche Details welche dafür sorgen, dass auch dieser Track gut in die Ohren gelangt!
Zu "Tote Stadt" wurde kürzlich erst ein schönes Musikvideo veröffentlicht. Der Song setzt zunächst recht minimalistisch und Bass-lastig an, entfaltet sich jedoch mit einer darauf aufbauenden fetten Bassline, aggressiven Shouts, straighten Drums sowie creepy Lead-Synths zu einer dicken Nummer zwischen EBM & Electropunk! Zur Break hin wird noch etwas experimentell LFO-seitig geschwurbelt, was vor Allem Synth & Modular-Liebhaber gefallen wird. Welch ausdrucksstarke Nummer, echt toll!
Ein weiterer bekannter Klassiker entpuppt sich daraufhin mit dem Song "Wandertag". Dieser beginnt mit einer ziemlich coolen EBM-Bassline sowie tanzbaren Drumloops. Die Vocals sind recht witzig inszeniert und wurden vom Timing her gekonnt ins Gesamtwerk integriert. In Kombination mit den Lead-Synths erinnert das Ganze etwas an frühe The Invincible Spirit Songs, liefert jedoch einen schönen Wiedererkennungswert. Coole Nummer!
Basslastig geht es auch mit "Mir Egal" weiter. Zunächst mit atmosphärisch dichten Wave Pads, welche später mit rapiden Beats sowie melancholischer Tonfolge spannungsgeladen inszeniert wurden. Auch dieser Dark Wave-lastige Song weiß einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Ebenfalls eine musikalisch raffinierte und mit Liebe fürs Detail umgesetzte, kräftige Nummer.
Ein wieder etwas experimentellerer Track folgt zur Abwechslung daraufhin mit "Der Letzte Funkspruch". Neben coolen Modular-Effekten sind weitläufige Wave Pads sowie Bell-lastige Lead-Synths das tragende Element dieses schönen Songs. Tiefgreifend und zum Durchschnaufen und Genießen einladend!
Auch "Amok" dürfte Hardcore-Fans bereits bekannt sein. Dieser beginnt abermals etwas aggressiver mit minimalistisch, jedoch dicken Drumbeats, harten FM-getriggerten EBM-Sequenzen und melancholischen Gesangseinlagen mit leichtem Disto-Effekt. Eine etwas monotonere Nummer, die zum Nachdenken anregt und für den Hörer eine Menge Trauer und Wut bereit hält.
"Alles Für Uns" setzt zunächst gedämpft an, fokussiert sich auf eine sich schnell öffnenden Cutoff-Filter, immer ausweitende Hauptsequenzen und lässt nach kurzer Zeit einen harten Pogo-Beat zum Besten geben. DAF-artige Delay- & Reverb-lastige Vocalshouts formen aus dieser gekonnten Minimal Electro-Nummer einen schönen Song zwischen Dark Wave & EBM. Klasse!
Eine rohe Sequenz liefert "Illusionär" von Beginn an ab und sorgt dafür, dass der Hörer mit einem recht monotonen und etwas groberen Song konfrontiert wird. Die Vocals treten hierbei etwas härter und direkter in Erscheinung, während die Lead-Sequenzen die Bassline stark komprimiert. Interessant abgemischt und verspielt inszeniert.
Mit "Nomi" fängt dann auch schon der letzte Song mit Akkord-Synths und etwas verquerer Tonalität an. Eine etwas schrägere Outro-Nummer zum Abschluß eines kreativ umgesetzten und mit viel Liebe und Gefühl inszenierten Albums.

Fazit:
Das Warten hat sich tatsächlich mehr als gelohnt. Die Band Plastikstrom überrascht nach fast fünfundzwanzigjährigem Bestehen mit einem kaum noch für möglich gehaltenen Debut-Album. Beton Gegen Angst liefert zum Einen eine schöne Hommage an den Dark Wave der 1990er Jahre, bietet zum Anderen jedoch auch großen klanglichen Genuß für Oldschool EBM & Minimal Electro Fans. Hier kommen eine Menge Freunde elektronischer Subkulturen voll auf ihre Kosten. Darüber hinaus liefert jeder Song ein einzigartiges in sich geschlossenes Erlebnis mit hohem Wiedererkennungswert. Dem Young And Cold Studio ist ebenfalls zu Gute zu halten, dass eine tolle Arbeit geleistet worden ist das Album Mixing- & Mastering-technisch qualitativ in die heutige Zeit zu katapultieren sowie die vertraute Retrospektive dabei gelungen fest zu halten. Hier und da sind ein paar Vocal-Einlagen etwas gewöhnungsbedürftig, doch das ist ebenfalls ein Stilelement dieses Projekts und kann sich gerne hören lassen. Fans von DAF, The Invincible Spirit, Deine Lakaien, Werner Karloff uvm. können dem Gesamtkunstwerk gerne ein tieferes Gehör schenken. Tolle Leistung!

Lieblingstrack: Grosny

Bewertung: 9(,5)/10

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