Release: 2019
Eine der legendärsten und ursprünglichsten Bands in Bezug auf den Beweis, dass sich elektronische Härte mit brachialen Gitarrenriffs stark und authentisch kombinieren lassen, scheint auch nach fast vierzig Jahren des Bestehens unermüdlich weiter zu touren sowie an neuen Songs zu arbeiten. Die Rede ist hier von keiner geringeren Band als Die Krupps, die es über vier Jahrzehnte geschafft haben eine riesige Anzahl an Fans unterschiedlicher Lager zu bilden. Das kommt jedoch nicht von ungefähr, denn dahinter verbirgt sich eine Menge Arbeit und Experimentierfreude. Als Frontmann Jürgen Engler zusammen mit Ralf Dörper Anfang der 1980er Jahre startete, war das Ganze noch ein in Kinderschuhen liegendes Electropunk/EBM-Projekt mit kritischem Blick auf technologischen Wandel sowie Gesellschaft. Das Ganze wurde inspiriert durch die zu dieser Zeit neu aufgekommene Arbeiterbewegung. In den 1990er Jahren wuchs die Band und entwickelte sich stets mit etwas wechselnder Besetzung mehr zu einer Industrial Metal / Rock-Formation weiter, welche auch ein entsprechendes Publikum an sich zog. In den 2000ern wurde es jedoch, bis auf einige Live-Auftritte, ziemlich still um die Band. Seit Anfang des Jahrzehnts erleben Fans und geneigte Hörer ein Comeback der Extra-Klasse, welches Die Krupps an den Olymp und in die Herzen vieler neu gewonnener Fans brachte. Mit The Machinists Of Joy erschien 2013 ein lupenreines EBM-Album und eines der Besten dieses Jahrzehnts. Zwei Jahre später folgte mit Metal Machine Music der Tribut an ihre Industrial Metal-Zeit. Und nun ist kurz vor Ende diesen Jahrzehnts mit Vision 2020 Vision das neueste Gesamtkunstwerk erschienen, welches wohl ebenfalls mit allen Wassern gewaschen ist und wie Titel & Cover bereits andeuten einen kritischen Blick in die kommende Zukunft wirft. Das Album erscheint wie vorheriges bereits auch schon bei Oblivion und beinhaltet dreizehn neue Tracks mit knapp einer Stunde Gesamtspielzeit und möchte wohl wieder das Beste aus beiden Welten (EBM & Industrial Metal) kombinieren. In diesem Sinne: Vorhang auf für Die Krupps!
Das Album beginnt sogleich mit dem gleichnamigen Albumtitel und einer vertrauten EBM-Bassline, welche nach kurzer Zeit von einer weiteren Sequenz und harten Gitarren-Riffs überlagert wird. Darüber hinaus gibt es ein gekonnt einsetzendes Drum-Arrangement, welche für nickende Köpfe sorgt sowie markante Gesangseinlagen eines Jürgen Engler. Der Track ist typisch Krupps und vereint sowohl die EBM- als auch die Industrial Metal-Facetten der Band. Schöner, brachialer Einstieg.
Mit dezenten Sequenz-Ansätzen und minialistischen Electro-Elementen setzt anfänglich "Welcome To The Blackout" nach, kurz bevor abermals harte Gitarren-Riffs und ein straighter Beat zum Tanz einladen. Atmosphärisch wird es in den Breaks als Jürgen mit angenenehmen Sprach-Gesang seine Strophen zum Besten gibt, wohingegen der Track im Refrain wieder zu explodieren beginnt. Coole Nummer!
"Trigger Warning" beginnt wie der Name schon andeutet mit alarmierenden Signalen bis kurz darauf relativ experimentelle Breakbeats und prägnante Bass-Synths nach vorne preschen. Die Gitarren-Einlagen kommen dabei leicht versetzt und wirken streckenweise gar etwas zu dick aufgetragen. Die Vocals sowie Lyrics beinhalten jedoch einen äußerst coolen Touch und integrieren sich passend ins Arrangement. Alles in Allem wirkt diese Nummer für einen Krupps-Song recht experimentell und gewöhnungsbedürftig, jedoch nicht schlecht.
Weiter geht es daraufhin mit dem eigensinnigen Titel "Wolfen (Her Pack)", der zunächst mit einer prägnant vertrauten Bassline ansetzt, ein gemächlicheres Tempo aufweist und dieses mit gut einsetzenden Gitarren-Riffs kombiniert. Etwas störend wirken dabei die schrillen Lead-Elemente. Die Gesangs-Einlagen von Engler erleben hier auch einen etwas andersartigen Einsatz und driften schon mehr in Richtung Heavy Metal ab, wie es auch der gesamte Song macht. Das Arrangement ist jedoch recht komplex umgesetzt und weiß dadurch auch zu überraschen. Interessanter Ansatz.
Brachial setzt "Extinction Time" mit wilden Bass-Sequenzen und straighten Beats nach, während Gitarren-Riffs und Shouts für ein voluminöses Klangbild sorgen. Diese Nummer ist äußerst aufbrausend und liefert eine gewollt unruhige Atmosphäre. Die Kombination unterschiedlicher Stilmittel kommt hier jedoch stark zur Geltung.
"The Carpet Crawlers" beginnt als bisher ungewöhnlichste Krupps-Nummer die wohl je Gehör fand. Hochtönige Sequenzen sowie leicht aufgesetzte Synth Pop-Gesangseinlagen, welche darüber hinaus nicht sonderlich sicher wirken, werden kombiniert mit orchestralen Violin-Samples und avantgardistischen Drum-Srukturen. Ehrlich gesagt steht diese Art von Stilistik der Band nicht sonderlich und so wirkt die komplette Nummer eher schräg und nicht wirklich authentisch. Schade.
Nach diesem eigensinnigen Track geht es weiter mit "Fires" und zunächst einer recht atmosphärischen Kombination aus orchestralen Samples, rauhen Gitarrenriffs, EBM-lastigen Bass-Sequenzen sowie ausschweifenden Gesängen. Auch diese Nummer wirkt wieder äußerst experimentell und so ganz anders als vertraut, gewohnte Krupps-Songs. Ebenfalls versucht sich Engler hier wieder an Opern-artige Gesangseinlagen, die mal mehr, mal weniger gut zur Geltung kommen. Es bleibt gewöhnungsbedürftig, wenn auch der Mix wirklich gelungen ist.
Weiter geht es mit dem deutschen Titel "Obacht" und endlich mal wieder typischen Krupps-Strukturen. Eine dicke Bassline sorgt in Kombination mit noch dickeren Gitarren-Riffs sowie martialischen Drum- Einlagen für eine tobende Industrial Metal-Nummer im EBM-Gewand. Einige überlagernds Violin-Pads sowie weitläufige Gesänge sorgen in Kombination mit düsteren Lyrics für eine starke Nummer.
Mit post-apokalyptischen Ansätzen und coolen FM-Synth-Sequenzen sowie Tribal-lastigen Percussions legt "Destination Doomsday" nach. Diese werden begleitet von klassischen Riffs und einfach gestrickten Drum-Strukturen. Die Vocals kommen stark zur Geltung und Alles in Allem liefert die Nummer alles was es für einen guten Krupps-Song braucht. Ein sehr cooles Arrangement umhüllt von einer klaren und kritischen Message!
Mit schrillen Synth-Spielereien macht "Allies" äußerst technoid und mit stärkeren Electro-Ansätzen weiter. Darüber hinaus kommt abermals ein vertrautes Klangbild bestehend aus harten Riffs, einer deftigen Bassline sowie starighten Drumbeats zum Tragen. Auch die Vocals integrieren sich gut in die sehr gelungene Nummer.
Mit dem US-kritischen Song "F.U." legen Die Krupps in gewohnt brachialer Manier noch Einen drauf. Die Gitarren geben dabei den Ton an, während die Bassline ein atmosphärisches Bindeglied darstellt. Der Track ist äußerst tanzbar inszeniert und vermischt einige zischende Synth-Elemente mit voluminöser Härte und Lyrics, die es in sich haben. Sehr gut!
"Active Shooter Situation" spielt zunächst mit experimentellen Synth-Einlagen, während nach kurzer Zeit eine Bass-lastige Song-Struktur sowie eine dichte Atmosphäre den Track abrunden. Dieser Track wirkt etwas gemächlicher und hält sich gewollt etwas zurück. Die verspielten Synths kommen jedoch stark rüber und wissen zu überzeugen, wenn auch manches leicht verquer wirkt. Eigensinnig und doch gut inszeniert.
Den Abschluß macht noch "Human" mit einigen harten Metal-Riffs sowie atmosphärisch, elektronischen Klängen. Nach kurzer Zeit sorgen jedoch eine wilde Bassline und straighte Drums dafür, dass der Song etwas EBM-lastiger wird. So baut dieser nach und nach allmählich Spannung auf, bis vor Allen Dingen wieder harte Gitarren-Riffs den Ton angeben. Eine wirklich starke Nummer zum Abschluß, die nochmal das Beste aus der Band heraus holt.
Fazit:
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Die Krupps mit ihrem neuesten Machwerk wirklich mal etwas gewagt haben. Vision 2020 Vision liefert über weite Strecken ganz andere und ungewohnt musikalische Ansätze, die man so von der Band noch nie gehört hat. Vor Allem der Mittelteil erscheint sehr experimentell und gewöhnungsbedürftig, während die Band zu Beginn und auch Ende des Albums wieder mehr ihre vertrauten Strukturen annimmt. Wie bereits vorab berichtet wird hier gekonnt sowohl mit EBM- wie auch mit Industrial Metal-Elementen gespielt und sich somit an Fans aus beiden Lagern orientiert. Jedoch erscheinen vor Allem die experimentierfreudigeren Tracks leider nicht sonderlich authentisch, wenn auch gut gewollt, und neigen vor Allem dazu langjährige Fans etwas zu vergraulen. Schade eigentlich, denn Alles in Allem ist das Gesamtergebnis nicht schlecht. Allerdings ist dies auch nicht wirklich eines der besten Krupps-Alben, auch wenn der Mix gelungen ist und sich einige Hit-verdächtige Nummern darauf befinden. Reinhören schadet jedoch nicht.
Lieblingstrack: Human
Bewertung: 7(,5)/10
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